Zu gut instruiert.

Manöver-Humoreske von Ralph Rawitz
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 25.08.1907


Auf der Landstraße, zwischen Stoppelfeldern, ungepflügten Acker- und Lupinenstrichen, bewegte sich ein Detachement. Vorneweg eine Schwadron Dragoner, dahinter eine Kompagnie munterer Füsiliere, die ein keckes Marschlied sangen. —

„Nicht weit ist ein Dörfchen von hier,
Da lagen wir jüngst im Quartier —”

scholl es weithin, so daß die Landleute auf dem Felde den Pflug anhielten, die Hand über die Augen legten und der Truppe nachblickten, bis sie an der nächsten Wegkrümmung verschwand. Und dann nickten sie sich zu:

„Nahwer Smidt, dat Manöver begönnt. Ick segg jo immer, dit ward wedder mal en Stück!” — —

Vorn an der Spitze der Soldaten ritten zwei Offiziere, der schlanke, blondbärtige Dragoner-Rittmeister und der Hauptmann von der Infanterie, dessen wohlgemästetes Bäuchlein über den Sattelknopf herüberquoll. Beide rauchten und unterhielten sich über das natürliche Thema des Tages, den Beginn des Manövers.

„Für mich die schönste Zeit im Jahr,” sagte der Rittmeister. „Alle Tage wo anders, interessant und vielfach lustige Bilder, mal „Chateau” und mal „Pisang” — was willst du noch mehr, liebes Herzchen?”

Hauptmann Lindenschmidt schüttelte mißbilligend das Haupt.

„Verstehe Ihren Enthusiasmus nicht, Zempelburg! Für mich ist jedes Manöver schauderhaft. Will gar nicht von nervösen Vorgesetzten reden, von liegengebliebenen Feldmützen, Koppelschlössern und Patronentaschen und anderem Aerger. Nur die Quartierfrage genügt, um mich zu chockieren. Glücklicherweise bau' ich als kluger Mann in dieser Hinsicht immer vor.”

„Wie machen Sie das?” fragte der Dragoner.

„Einfach so, Verehrtester. Als Quartiermacher suche ich mir den Schlausten der Einjährigen aus, und dem sage ich: Mein lieber Müller oder Schulze! Sie haben Ihr Schicksal in Ihren Händen. Machen Sie für mich gute Quartiere, dann werden Sie Gefreiter. Machen Sie schlechte Quartiere, dann schleife ich Sie, bis Sie Oel geben. — Und nach dieser Einleitung schärfe ich dem Einjährigen folgende Punkte ein: 1. Ich bin nervenkrank, also muß ich sehr ruhig liegen, abseits von Hundegebell, Gasthauslärm oder anderem Skandal. 2. Ich bin magenkrank, daher kann ich den Dachadler mit Zucker und Zimt und das Dünnbier nicht vertragen, sondern bedarf gediegener Ernährung, z. B. Rebhuhn und Pulle Roederer, carte noire. 3. Ich leide am Embonpoint, daher tut mir kühles Bad not, und ich bin an See, Fluß, Strom oder Mühle zu plazieren. Das Mindeste ist aber Fußbadewanne!”

„Donnerwetter,” sagte der Rittmeister, „ich möchte nicht bei Ihnen Quartiermacher sein; das sind ja horrible Ansprüche. Wer kann die erfüllen? Sie müssen ja ganz besondere Kapazitäten von Einjährigen haben, die zu solchem Dienst geeignet sind.”

„Macht alles die Erziehung,” anwortete Hauptmann Lindenschmidt. „Erziehung und Auswahl. Diesmal habe ich einen Dr.phil, der über „die Körperpflege bei den Babyloniern unter der Regierung Hammurabis” promoviert hat, ausgesucht. Ein riesig gelehrtes Huhn, Zempelburg! Er hält zwar immer noch den Kopf schief und nimmt das Kinn nicht an die Binde; aber er weiß genau, daß die Kriegshauptleute der Babylonier sich brillant einquartierten und wird analog mit mir verfahren. Sollten Sie gar zu miserabel liegen, so bin ich gern bereit, Ihnen eines meiner Quartiere 'mal abzutreten!”

„Danke sehr, Lindenschmidt, danke sehr! Ich nehme es, wie es kommt. Und ich will gern darben, wenn ich nur sehe, wie Seiner Majestät getreuester Hauptmann vom Füsilier-Regiment auf Smyrna-Teppichen und Perser-Pfühlen ruht, rechts eine Amphora mit duftendem Rheinwein, links seine Fußbadewanne!” — —

Das Gespräch endigte, denn hinter den Birken am Wegrande tauchte das Quartier, Gut und Dorf Booßen, auf. Am Eingang der Ortschaft erwarteten die Quartiermacher ihre Vorgesetzten.

„Na, Klappka, wo liege ich?” fragte Baron Zempelburg seinen Unteroffizier, der sporenklappend den Logier-Zettel überreichte.

„Auf dem Gut, Herr Rittmeister. Gehört einem Freiherrn v. Booßen, der als der reichste Gutsbesitzer hier im Kreise gilt.”

„Sind Damen da?”

„Jawohl — die Frau Gemahlin, zwei Töchter und einige Verwandte; es liegt auch noch ein Prinz von der Garde dort.”

„Charmant,” sagte Hauptmann Lindenschmidt, und dann zu seinem Einjährigen gewendet: „Wo geht der Weg zum Gut, Berger?”

„Hier entlang,” sagte Berger. „Aber Herr Hauptmann liegen nicht auf dem Gut!”

„Ich — liege — nicht — auf — dem — Gut?” Hauptmann Lindenschmidt wurde kirschrot im Gesicht und schnappte mühsam nach Luft. „Wo — liege ich denn?”

„Herr Hauptmann haben mir befohlen, auf Herrn Hauptmanns Nerven Rücksicht zu nehmen. Da ich mir sagte, auf dem Gut werde viel geräuschvolle Geselligkeit sein, so habe ich den Herrn Hauptmann in eine Unterförsterei am Walde gelegt.”

„Herrrr!” Mehr sprach der Hauptmann vom Füsilier-Regiment nicht. Aber in diesem einen Wort lag eine ganze Rede zusammengepreßt. Dieses „Herrrr” bedeutete, richtig interpretiert: „Du bist ja das größte Rindvieh, das je die Achselklappen der neunten Kompagnie des Füsilier-Regiments seit dem alten Fritz getragen hat.” Allein, was tun? Vor dem Rittmeister sich selbst desavouieren? Das ging nicht an. So faßte Lindenschmidt sich in männlicher Würde und zog, wenigstens äußerlich ruhig, seines Weges nach dem fernen Ausbau, während der Rittmeister mit lächelndem Gruß in den Gutshof abbog. — —

„Nun, wie war's?” fragte der Hauptmann vierundzwanzig Stunden später den Kameraden vom Dragoner-Regiment. „Hatten Sie's erträglich?” „Es war einfach 1a,” sagte Baron Zempelburg. „Herr v. Booßen hätte Sie so gern genommen, aber der Einjährige hat es strikt abgelehnt.”

„Es war ein kleines Mißverständnis,” erwiderte der Hauptmann, in dem er seine linke, dem Rittmeister zugewandte Gesichtshälfte in verbindliche und liebenswürdige Falten legte und auf der rechten Seite seinen Grimm ausdrückte, „eine kleine Irrung. Aber heute ist mein Berger besser instruiert. Da kommen ja schon unsere Quartiermacher — hoffentlich ist es diesmal ein Sektquartier.”

Das war Schloß Hoppenrade in der Tat. Der Besitzer, ein alter Oberst, hatte aus der Metropole verschrieben, was es an Delikatessen der Saison gab: Krebse, Rebhühner, Forellen und die teuersten Wein-Marken. Das alles stand nun auf der Frühstückstafel, reizend angeordnet zwischen Frucht- und Blumenschalen, und so lecker duftend, daß Hauptmann Lindenschmidt ganz leise mit der Zunge schnalzte.

Der gleichfalls hier einquartierte Brigade-Kommandeur führte die Frau des Hauses zu Tisch; ihr gegenüber saßen Zempelburg und Lindenschmidt. Ein alter Diener im Frack präsentierte die Platten den Gästen, machte aber um den Hauptmann vom Füsilier-Regiment einen großen Umweg.

„Ach ja — richtig,” sagte der Hausherr zu seiner Gattin. „Lottchen, sei doch so gut und lasse das Mehlsüppchen kommen. Und wünschen Sie Tee dazu, lieber Herr Hauptmann? Ja, ja verehrter Freund, Sie sehen, wir sind hier instruiert. Ihr Einjähriger hat es meiner Frau auf die Seele gebunden, Sie wären magenkrank und bedürften besonderer Diät. Na, Forellen sind ja nicht leicht, und selbst vom Rebhuhn rate ich ab, denn in der Sauce ist scharfes Gewürz. Aber eine ausgezeichnete Roggenmehl-Grütze und etwas Kamillentee wird Ihnen wohltun!”

Lindenschmidt verbeugte sich, sprach etwas von „momentaner Indisposition des Magens, im übrigen aber völlig intakter Felddienstfähigkeit” (dieser Zusatz galt dem hohen Vorgesetzten) und schluckte dann mit Todesverachtung den dicken Brei der Mehlsuppe hinunter. —

„Mensch, Sie sind komplett blöde!” donnerte Lindenschmidt den Einjährigen an, als dieser nach Tisch im Ordonnanz-Anzuge sich meldete. „Sie wollen den Dr. gemacht haben? Den Dr. stultitiae, das wäre möglich. Aber sonst sind Sie das unbrauchbarste Subjekt, das mir je vor die Augen gekommen ist. Wenn morgen noch einmal was passiert, sitzen Sie im Loch! Verstanden? Und damit Sie klar darüber sind: ich widerrufe meine ganze Instruktion, will weder Nervenschonung, noch Diät oder Bad —, nichts davon, niemals! Und nun kehrt — marsch abgetreten!” —

Wieder lag die Kompagnie auf einem Gutshof, diesmal beim Kammerherrn Grafen Dobrin, einem großen Sportsfreund und Mitglied des Kieler Jacht-Klubs. Hauptmann Lindenschmidt hatte heute zwei prächtige Zimmer erwischt und aß bei Tisch für die drei letzten Tage nach. Es war fabelhaft, was er an Vertilgung von kalter Ente in Aspik, Hummer und Hammelrücken leisten konnte. Dann ruhte er süß auf Eiderdaunenbetten bis zum Spätnachmittag, wo die Herren einen Spaziergang am idyllischen Schloßsee verabredet hatten.

Es war ein drückend-heißer Spätsommertag, und die blaue Fläche des Gewässers zwischen Wiesen und Baumgruppen lud zum Baden ein. Einer der Herren sprach den Gedanken aus, und der Gutsherr ging sofort darauf ein.

„Wir sind hier ganz ungeniert, ich bade immer hier. Sofort soll Badezeug geholt werden. Wie viele Herren sind wir hier? Drei — vier — sieben.”

„Acht,” entgegnete Hauptmann Lindenschmidt, der mitgezählt hatte, „acht Herren.”

„Ach,” erwiderte der Kammerherr, „Sie zählen sich mit, Herr Hauptmann?! Pardon! Aber Ihr Einjähriger hatte uns gesagt, Sie badeten niemals — unter keinen Umständen!” — —

Der Kammerherr klemmte das Monokel ein, die Korona lächelte, und Hauptmann Lindenschmidt fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Zempelburg aber sagte, indem er dem Kameraden auf die Schulter klopfte:

„Liebster Lindenschmidt — instruieren Sie nie wieder! Man kann auch zu gut instruieren. Nicht wahr, Teuerster!”

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